Newsletter März 2014

In diesem Newsletter möchte ich euch gerne eine kleine reale Geschichte erzählen, welche Milton Osorio erlebt hat.

Milton war seit November 2007 zusammen mit seinen Schwestern Reyna, Mabel und Jennifer bei uns. Von seiner Familie wissen wir nichts und die Geschwister erhielten in den letzten Jahren auch nie Besuch von Familienangehörigen.
Gegen Ende letzten Jahres hatte Milton eine schlimme Phase, im wahrsten Sinne des Wortes... Er glaubte, unschlagbar zu sein, der Beste zu sein, wollte nie mithelfen und auch sein Sozialverhalten liess zu wünschen übrig. In der Schule machte er nichts, folgte nicht der Lehrerin und im Heim gab es täglich Reibereien mit den Erziehern bis er eines Tages entschloss, sein Leben eigenständig in die Hand zu nehmen und das Kinderheim „yo quiero ser...“ zu verlassen.

So schildert der Fünfzehnjährige das Erlebte: „ Ich wusste nicht wohin.... ich lief stundenlang in der Stadt herum, ohne wirklich einen Ziel zu haben. Es war schon sehr spät und ich hatte immer noch keine Schlafstelle. Ich lief und lief, jedoch kam nicht vom Fleck und immer wieder zum gleichen Ort zurück...So blieb mir nichts anderes übrig, als auf der Strasse zu schlafen. Ich habe mich in einer Ecke verkrochen und hatte grosse Angst, sodass ich die ganze Nacht fast nichts geschlafen habe. Ich fühlte mich so klein, alleine und musste an meine Schwestern und die anderen Kinder des Kinderheims denken... ich war heilfroh, als die Nacht vorbei war und die ersten Sonnenstrahlen mich am Morgen weckten.

Am nächsten Tag lief ich ziellos in der Stadt herum, mit der kleinen Hoffnung, dass ich irgendwo meine Mutter antreffen würde. Jedoch habe ich sie leider nie getroffen... Auf einmal sah ich einen alten Freund, Guillermo. Dieser bot mir an, ihm bei der Arbeit zu helfen; er stehe jeden Tag bei einem Lichtsignal und putze Fensterscheiben, so bekomme er genug Geld zusammen, um über die Runden zu kommen. Da ich mir ganz verloren vorkam, nahm ich dieses Angebot an. Während Guillermo Fensterscheiben putzte, hütete ich seinen Rucksack und das erworbene kleine Kapital, da Guillermo schon mehrmals überfallen worden war. Am Morgen assen wir ein Stück Brot, am Mittag tranken wir Süssgetränke und am Abend gab es zwei Baleadas, bevor wir uns müde in einer Ecke verkrochen, um einzuschlafen. Wir duschten an einem Wasserhahn einer naheliegenden Tankstelle und wuschen dort auch jeweils unsere Kleider. In diesem Gebiet dominiert die M18; diese Jungs akzeptierten uns und erlaubten uns, dort zu schlafen. Sie sagten, sie seien auch mal so gewesen...

Einmal bot uns ein Mörder an, ihn bei seiner Arbeit zu begleiten, aber wir hatten Angst und gingen davon. Die Strassenfreunde haben einen ganz speziellen, eigenartigen Charakter... Ihnen ist alles egal und die meisten inhalieren Leim, die billigste Droge für alle. Auch mir haben sie mehrmals Leim angeboten und versprachen, dass man in einem betäubten Zustand alles vergisst! Einmal sah ich, wie einige Typen einen Jungen ins Auto schleppten und seit diesem Tag ist er spurlos verschwunden. Wahrscheinlich haben sie ihn schon längst verschwinden lassen. Einige meiner Freunde waren Spielsüchtig, andere kauften sich junge Mädchen... In solchen Situationen musste ich immer wieder an das Kinderheim denken und ich erinnerte mich an all die Vorträge, die wir gehört hatten. Dies gab mir jeweils die Kraft, nein zu sagen!

Eines Tages gab mein Stolz nach; ich nahm all meine Kräfte zusammen und bat Gott, mich zu begleiten, um das Kinderheim zu besuchen und Edwing um eine zweite Chance zu bitten. Als ich am Tor ankam, sprangen all die Kinder auf mich zu und bei mir flossen nur noch die Tränen. Ich wollte stark sein und meine Emotionen nicht zulassen, aber ich konnte nichts machen. Ich war einfach sehr froh, wieder zu Hause zu sein.
Spät, aber noch rechtzeitig, habe ich gemerkt und zu schätzen gelernt, was wir hier im Kinderheim „yo quiero ser...“ alles bekommen. Das Leben auf der Strasse ist sehr hart, gefährlich und vor allem aussichtslos! Im Heim bekommen wir alles geschenkt und dürfen in die Schule gehen, was uns zu einer besseren Zukunft verhilft... Meine lieben Kinderheimfreunde, ich hoffe, dass ihr nicht den gleichen Umweg wie ich machen werdet, denn es ist kein schöner Absprung gewesen...“